Samstag, 19. September 2015

Jericoacoara - wie ich meinen neuen Lieblingsort auf Erden fand

Lange konnte ich den Namen dieses kleinen Ortes mit knapp 2000 Einwohnern nicht einmal aussprechen. Wer weiß, vielleicht interessierte es mich gerade deshalb an diesen Ort an der nördöstlichen Atlantikküste Brasiliens zu gelangen. Zum ersten Mal laß ich über Jericoacoara, als ich noch in Kolumbien war und das Kapital Brasilien in meinem Lonely Planet durch blätterte. Wahrhaftig ein ganz spezieller Ort, so steht es dort geschrieben und genauso empfand ich es vom ersten Moment an. Nach einem Transfer von ca. 8 Stunden von Barreirinhas nach Jeri (so wird Jericoacoara einfacherheitshalber genannt) stellte ich gleich eines der sonderbarsten Merkmale des Ortes fest: Straßen? Ja, davon gibt es ein paar wenige in Jeri. Diese bestehen aber nicht aus Asphalt, sondern aus dem für Füße angenehmsten Material, weisem Sand. Schuhe sieht man hier äußerst selten, weder an den Füßen der Bewohner noch an denen der Besucher. Entweder trägt man Flipflops oder man ist barfuß unterwegs. Zweiteres war für mich persönlich am angenehmsten. Doch zurück zu meiner Ankunft. Ich hatte mal wieder keine Unterkunft im Voraus gebucht. Die Franzosen, die im gleichen Geländewagen mit mir nach Jeri fuhren, hatten im Voraus eines der im Internet meist genannten Hostels für sich gebucht. Dort fragte ich gleich mal nach und bekam eine Absage, da man ausgebucht war. Als ich dort nach einer günstigen Alternative fragte, nannte man mir das La Tapera Hostel nicht weit entfernt. Der Name kam mir gleich ungewöhnlich vor, zumal er spanisch und nicht portugiesich war. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass es für einen ganzen Monat mein Zuhause werden sollte und ich mich wahrlich wie daheim fühlen würde. Einen der größten Anteile an meinem langen Aufenthalt in Jeri hatte der junge Mann, der an einem kleinen Tisch saß als ich das kleine grüne Häuschen des La Tapera Hostels betrat, Mauricio. Das La Tapera Hostel, was eigentlich eher eine Pousada (Pension) war, gehörte seiner Mutter Lindalva, die jeden Morgen das herrlich frische Frühstück mit viel Liebe zubereitete. Mauricio leitete diese kleine familiäre Unterkunft, kümmerte sich um die Buchungen aus dem Internet und führte hier und dort immer wieder kleine Veränderungen durch um die Bleibe für Gäste noch gemütlicher und angenehmer zu gestalten. "Oí! Você fala inglês ou espanhol?" Soweit war ich mittlerweile mit meinem portugiesich schon gekommen. Spanisch war ihm lieber obwohl er auch Englisch sehr gut beherrschte und so führten wir unser Gespräch in meiner zweiten Muttersprache weiter. "Setz dich doch erstmal. Magst du einen Kaffee oder einen (frisch gemachten) Fruchtsaft? Du siehst aus als hättest du eine lange Anreise gehabt." Mauricio strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, die wohl jeder auf Anhieb sympatisch finde würde. Hinzu kam sein lustiger Akzent wenn er Spanisch sprach (argentinisch mit brasilianischen Tonklang). Er hatte die Sprache während einer längeren Reise in Argentinien gelernt und kannte daher Worte aus der argentinischen Umgangssprache, die ich zuvor nie gehört hatte und mich fortan immer wieder zum totlachen brachten. Nach einem längeren Gespräch über seine und meine Reisen fragte er mich schließlich: "Wie lange willst du bleiben?" Meine Antwort lautete "4 oder 5 Tage". Wenige Zeit später hatte ich einen ersten Spaziergang durch Jeri und entlang des Hauptstrands gemacht. Mich fesselte etwas an diesen Ort. Ohne Zweifel war Jeri touristisch, jedoch auf seine besondere und überaus relaxte Art und Weise. Mich trieb es zurück zum Hostel zu einem weiteren Gespräch mit Mauricio, "Ich hätte da eine Frage. Wenn ich mindestens zwei Wochen bleibe und dir ein bisschen bei deiner Arbeit hier im Hostel helfe, könntest du mir dann einen Sonderpreis machen?" Mir war die Frage schon etwas unangenehm. Mit 40 R$ (umgerechnet ca. 9 €) pro Nacht hatte er mir bei der Ankunft einen für Brasilien durchaus günstigen Preis für ein Bett im Dorm angeboten. Umso mehr überraschte mich seine Antwort: "Da fragst du noch? Klar, machen wir das so. Ich kann deine Hilfe echt gut gebrauchen. Du hast mir doch vorhin erzählt, dass du schon mehrere Jahre in der Touristik arbeitest. Mit deiner Erfahrung und deinen Sprachkenntnissen, die besser sind als meine, könntest du mich echt unterstützen. Ich kann die Hälfte im Preis runter gehen. Ich würde es dir auch umsonst anbieten, aber dann würde ich dich bitten müssen, jeden Tag ca. 4 Stunden irgendwas zu arbeiten. Ich glaube für dich ist es besser, du geniesst hauptsächlich deinen Aufenthalt hier in Jeri und hilfst mir nur, wenn ich mal Hilfe brauche und du natürlich nichts anderes vorhast. Frühstück bleibt natürlich inklusive. Meine Mutter macht auch fast jeden Tag Mittagessen. Du kannst natürlich immer umsonst mitessen, es ist immer genug da. Ansonsten können wir ja Abends immer was zusammen kochen oder grillen und andere Gäste vom Hostel, die grade da sind, einladen mitzukochen und mitzuessen. Was meinst du? Eine Bedingung hätte ich allerdings. Ich gehe Abends ziemlich gern feiern. Du müsstest da immer mitkommen!" Mit diesem Satz und einem lauten Lachen beendete er sein "Angebot". Mir blieb nichts anderes übrig als mitzulachen und zu sagen: "Dann lass uns doch heute Abend gleich loslegen." So begann mein langer erlebnisreicher Aufenthalt in Jeri und im La Tapera Hostel und so begann auch eine besondere Freundschaft zwischen Mauricio und mir. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, hatten viele interessante Unterhaltungen und hin und wieder arbeiteten wir auch etwas. Ich würde es noch nicht mal als Arbeit bezeichnen. Es handelte sich um simple Dinge wie neue Fotos für die Internetauftritte zu machen und auf meinem iPad zu bearbeiten, Werbeschilder zu bemalen und zusammenzubauen und im Ort aufzustellen oder Texte für Hinweise im Hostel ins Englische übersetzen. Ansonsten fragte mich Mauricio hin und wieder um Rat aufgrund meiner Berufskenntnisse in der Touristik.
Wenn ich nicht gerade mit Mauricio unterwegs oder im Hostel war, genoss ich schlicht und einfach Jeri. Der Ort war klein und übersichtlich aber bot zusammen mit seiner Umgebung alles was man brauchte um sich entspannt und zufrieden zu fühlen. Inklusive der Wind- und Kitesurfer, die hier einen sehr großen Anteil der Besucher ausmachen, zieht es die meisten täglich ab ca. 17 Uhr auf die Duna do Pôr do Sol, einer riesigen Sanddüne, die direkt ans Meer grenzt und von aus man den Sonnenuntergang am Atlantik in einer durchweg natürlichen Umgebung betrachten kann. Ich persönlich war auf diesem Tourihügel nur zweimal, entdeckte aber immer wieder neue interessante Plätze für den Sonnenuntergang.


Zweimal besuchte ich das Naturwahrzeichen von Jeri, die Pedra Furada. Ein Felsbogen, der an einem 3 km abgelegen Strand liegt. Mitten durch diesen Bogen fließt bei starker Brandung das Wasser aus dem Meer durch. Wäre ich im Juli oder Anfang August da gewesen, hätte ich durch den Bogen ebenfalls einen Sonnenuntergang betrachten können.


Nach zwei Wochen in Jeri hielt mich die Energie dieses Ortes weiterhin fest. Mir war noch nicht nach Weiterreisen. Heute sage ich mir immer wieder, wie richtig die Entscheidung war, noch zu bleiben, denn genau zu diesem Zeitpunkt traten für Mauricio und mich neue Freunde in unser Leben. Zunächst war es Javier, ein braungebrannter Argentinier aus Buenos Aires, der zu dieser Zeit auf einer 3-monatigen Reise in Brasilien war. Javier war ein sehr herzlicher, korrekter und disziplinierter Mensch, über den Mauricio oft sagte, dass er eher als Deutscher durchgehen würde als ich. Einer meiner abendlichen Nebentätigkeiten im La Tapera Hostel, nämlich den Caipirinha für das Abendessen zuzubereiten, war ich ab sofort los. Diesen übergab ich ab dann an Javier. Am selben Tag kam auch Belen an, ebenfalls aus Buenos Aires. Sie war ähnlich wie ich auf einer mehrmonatigen Reise durch Lateinamerika, reiste aber mit einem deutlich kleineren Budget. Daher checkte sie nicht als Gast ein, sondern fragte bei Mauricio nach einem Aushilfsjob gegen kostenfreie Unterkunft nach. Als Belen ihn mit Zeichnungen aus ihrem Notizblock überzeugte, war für ihn klar, dass er ihr den Aushilfsjob geben musste. Sehr oft hatten Mauricio und ich in den vergangenen Tagen darüber gesprochen, dass wir an die Wand im gemütlichen Innenhof - wo wir und die Gäste uns die meiste Zeit aufhielten - eine riesige Straßenkarte von Jeri und der Umgebung malen sollten. Beide waren wir aber künstlerisch nicht besonders begabt. Daher war die Ankunft von Belen genau richtig. 
Von da an waren wir vier eine ganz enge Clique, gar eine Familie. Wir unternahmen auch viel zusammen, meist zusammen mit Mauricios Bruder Mardonio sowie Ignacio und Miguel (beide woher auch sonst aus Buenos Aires), die in einem anderen Hostel in Jeri untergebracht waren. Und so kam es, dass die Tour "Into the wild" für das La Tapera Hostel ins Leben gerufen wurde. Diese machten wir sieben genannten Personen an der Lagoa de Paraíso, dem beliebtesten Ausflugsziel von Jeri. An dieser gibt es eigentlich keine Übernachtungsmöglichkeiten. Wir schuffen uns diese, machten ein Nachtlager mit Lagerfeuer auf einer flachen bewaldeten Düne nur 10 Meter vom Wasser entfernt und spannten Hängematten zum Schlafen zwischen zwei Bäumen auf. Am nächsten Morgen sprangen wir zum Wachwerden in die Lagune. 


Ansonsten tat sich einiges im La Tapera Hostel. Die Wandkarte von Belen wurde zum Blickpunkt der Augen aller Gäste schon während des Frühstücks. Zudem halfen Javier und ich Belen dabei, einen Tisch zu bemalen, weil sich Mauricio ein Schachbrett sowie ein Backgammonbrett gewünscht hatte. 


Sowohl die neuen Fotos auf den Buchungsinternetseiten als auch die von Mauricio und mir aufgestellten Schilder führten zu viel mehr neuen Buchungen und Anreisen als erwartet. Als das Haus auf einmal ziemlich voll war, war es wie es sich Mauricio immer gewünscht hatte. Ein kleines Haus, das jeder genießt als wäre es sein eigenes zu Hause, das er mit anderen Gastgebern teilt. Gäste machen zusammen Ausflüge, abends kochen, essen und trinken alle zusammen und führen interessante Gespräche bis spät in die Nacht.

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